Einführung für Lehrpersonen
Einleitung
Steine gehören zu unserem Alltag wie Pflanzen und Tiere. Alpen, Jura und Mittelland sind aus unzähligen Gesteinsarten aufgebaut, die uns ihre Geschichten erzählen wollen, Geschichten über ihre Entstehung seit Urzeiten der Erde bis zum heutigen Tag. Steine sind auch im Siedlungsraum überall präsent. Was erzählen uns z. B. die Arbeitsplatte in der Küche, die Sandsteinfassade eines Hauses, der Marmortisch im Café oder der Boden in der Schalterhalle der Post über ihre Entstehung und Nutzung durch den Menschen?
Gesteine sind wie offene Bücher. Die Geologie versucht, die «Sprache der Gesteine» zu verstehen und zu vermitteln. Im Detail ist dies eine komplexe Sprache, zu deren Verständnis Mikroskope und aufwändige Labormethoden genutzt werden. Sie basiert jedoch auf einfachen Konzepten, zu deren Entzifferung häufig das blosse Auge genügt. Dies macht die Geologie wie kaum eine andere Wissenschaft zu einer Disziplin, die all jenen weit offensteht, die gerne beobachten.
Erdwissenschaftliche Disziplinen wie Geologie, Geophysik, Geomorphologie, Lagerstättenkunde, Hydrologie, Glaziologie und Pedologie begleiten uns im Alltag ständig, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind. Seit alters her hat der Mensch gelernt, Landschaftsformen, Gewässer, Gesteine und Böden zu beurteilen, um seine Siedlungen an sicheren Orten und seine Äcker auf fruchtbarem Boden anzulegen, oder um solides Baumaterial für seine Häuser und Verkehrswege zu beschaffen. Viele der grossen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte wie Wassersicherheit, Rohstoff- und Energieversorgung, der Umgang mit Böden und Altlasten, aber auch Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkane und Unwetter sind eng verknüpft mit der modernen erdwissenschaftlichen Forschung. In Anbetracht aktueller, teils bedrohlicher Umweltveränderungen hängt der Erhalt und vor allem die, in vielen Ländern des Globalen Südens angestrebte Erhöhung des Lebensstandards davon ab, dass die Erdwissenschaften belastbare Grundlagen für künftige Lösungen im Umgang mit knapper werdenden Georessourcen aufzeigen können.
Über diesen unmittelbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen hinaus sind die modernen Erdwissenschaften jedoch noch viel mehr: Sie ermöglichen uns, jene Prozesse zu verstehen, welche die Erde und deren heutige Oberfläche geformt haben und auch in der Zukunft formen werden. Dadurch entwickeln wir ein Verständnis für die Erdkruste als Grundlage allen Lebens, aber auch als Grund-lage menschlicher Aktivitäten in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft, sei es für die Ernährung, für den Bau von Siedlungen, für Verkehr, Industrie und Handel oder für kulturelle Aktivitäten wie Architektur und Kunst. Dabei weisen die Erdwissenschaften auch unzählige Schnittpunkte zu anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen, aber auch zu den Geisteswissenschaften auf, wodurch sie sich besonders gut für interdisziplinären Unterricht eignen.
Ziele
Mit dem Projekt «Urban Geotrail» möchten wir über einen niederschwelligen Zugang das Interesse von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II an erdwissenschaftlichen Themen und an deren Verknüpfungen mit der alltäglichen Erlebenswelt wecken. Die Zugangsschwelle möchten wir durch Alltags- bzw. Lebenspraxisnähe der behandelten Themen soweit senken, dass mit nur geringen Vorkenntnissen eingestiegen werden kann.
Generell sollen wissenschaftliche Denkweisen bzw. wissenschaftliches Vorgehen mit der alltäglichen Erlebenswelt der Schülerinnen und Schüler verknüpft werden. Im Zentrum stehen dabei Beobachtungen an Gesteinen und an Gebäuden im städtischen Raum, sowie daraus ableitbare, spannende Geschichten.
Umsetzung
«Urban Geotrail» macht sich in Form eines Freiluft-Werkstattunterrichtes an ausserschulischen Lernorten jene Gesteine zu Nutze, die im städtischen Umfeld in Bern, Basel, Zürich, Baden, Luzern und St. Gallen vorhanden sind. Auf einer Karte sind je nach Stadt 12 bis 17 Posten sowie der Weg dorthin in Form eines zusammenhängenden Parcours eingezeichnet. Dadurch kann gleichzeitig auch die Orientierung mit einem Stadtplan ohne Handy-Navigation geübt werden. Die Posten können Mauern, Fassaden, Brunnen, Treppen, Pflästerungen, steinerne Kunstwerke und dergleichen sein. Diese sind weder speziell markiert noch befinden sich dort Informationsmedien. Eine Karte des Geotrails und die notwendigen Unterlagen zu den Posten führen die Schülerinnen und Schüler selbst mit sich, entweder analog auf Papier oder digital auf einem Tablet / Laptop.
An jedem Posten wird für die vorhandenen Gesteine zunächst ein Bezug hergestellt zu deren jeweiliger geologischer Entstehungsgeschichte. Den Zugang zur Geologie und zu erdwissenschaftlichen Themen bilden dabei Geschichten zur Entwicklung der Erde bzw. Erdkruste, die den Gesteinen mittels einfacher Elemente der «Sprache der Gesteine» entlockt werden können. In der Folge werden Bogen gespannt zu generellen erdwissenschaftlichen oder umwelt- und kulturrelevanten Themen, je nachdem, was sich an den jeweiligen Posten anbietet. Dies können der Klimawandel und die damit verbundenen Umweltveränderungen, mineralische Rohstoffe, Ressourcennutzung, Baumaterialien und deren Transport, Architektur, Kultur und Kunst oder wissenschaftliche Methodik sein. Um den Geotrail inhaltlich nicht zu überladen, werden diese Themen in Form von Ergänzungen separat angeboten, teils an Posten gebunden, teils postenübergreifend. Je nach Zeitbudget und / oder Leistungsfähigkeit der Klasse können die Ergänzungen in den Geotrail integriert werden oder später im Klassenzimmer bearbeitet werden. Es ist auch denkbar, dass die Ergänzungen ganz oder teilweise von Schülerteams vertieft und der Klasse danach vorgetragen werden.
Die Geotrails sollen in Gruppen begangen werden, sodass auch ein inhaltlicher Austausch zwischen den Schülerinnen und Schülern stattfindet. Zweiergruppen sind optimal, je nach Klassengrösse sind auch grössere Gruppen möglich. Die Gruppen absolvieren die Geotrails ohne Begleitung durch die Lehrperson. Zu Beginn ist eine generelle Einführung durch die Lehrperson zum Aufbau des jeweiligen Geotrails, zur Verwendung des Stadtplans, zum Verhalten der Schülerinnen und Schüler etc. vorgesehen. Auch am Schluss der Geotrails sollten die Gruppen von einer Lehrperson in Empfang genommen werden, so kann auch der Austausch erster Eindrücke strukturiert werden.
Die Geotrails lassen sich je nach Länge mit einer Klasse in einem halben oder ganzen Tag absolvieren. Es ist es jedoch empfehlenswert, auf jeden Fall einen ganzen Tag einzuplanen. Dadurch bestehen Zeitreserven für weitere Aktivitäten (z.B. Museumsbesuch) in der Stadt oder deren Umgebung.
Einführung und Abschluss
Die Einführung in das Thema Gesteine und Geologie findet mit Vorteil vorgängig im Klassenzimmer statt. Dafür empfehlen wir, mit einer «Rockbox» zu arbeiten, in welcher sich wild gemischt mindestens 5 bis 10 Stück all jener Gesteinssorten befinden, die Teil des Geotrails sind. Um den Inhalt der Rockbox vielfältiger zu machen, können zusätzlich auch andere Gesteine beigemischt werden. Steinsammlungen können über die Website des Projektes «CSI Alps» (www.csi-alps.unibe.ch) bezogen werden.
Zusätzlich verfügen die Geotrails über einen Abschluss, bei welchem die behandelten Gesteine repetiert und in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden. Dieser ist entweder in den letzten Posten integriert oder wird separat angeboten.
Vorkenntnisse
Vorausgesetzt werden die Kenntnis der Breitengrade und Himmelsrichtungen, eine basale Vorstellung von Klima und Atmosphäre inkl. der Klimawirksamkeit von CO2, sowie ein Grundverständnis für die Bedeutung chemischer Reaktionsgleichungen. Vorkenntnisse zu Gesteinen sind von Vorteil, aber keine Voraussetzung. Die Schülerinnen und Schüler müssen genau beobachten und dürfen sich nicht entmutigen lassen, wenn sie nicht auf Anhieb damit erfolgreich sind. Die Fähigkeit zu beobachten kann mit dem Geotrail geübt werden.
Einsatzmöglichkeiten
Der Geotrail kann sowohl als Einführung / Überleitung zu einer «klassischen» Besprechung des Themas Geologie im gymnasialen Geografieunterricht dienen, wofür weiterführende Unterrichtsmaterialien z.B. auf der Website www.csi-alps.unibe.ch/ oder im 2023 neu erschienenen Diercke Geografie Sekundarstufe II von Westermann zu finden sind. Er kann aber auch als ausserschulischer Lernort zur Auflockerung des Unterrichtes im Lauf der Besprechung des Themas Geologie genutzt werden oder zu dessen Abschluss als Übung zur Anwendung geologischer Denkweisen. Durch die zusätzlichen Verbindungen zu vielfältigen Themen ausserhalb der Geologie eignet sich der Geotrail auch exemplarisch, um die Bedeutung der Geografie als interdisziplinäre Brückenwissenschaft aufzuzeigen.
Kriterien für die Auswahl der Posten
Es gibt sehr viele unterschiedliche Gesteine an Gebäuden und Brunnen. Davon eignen sich jedoch nur wenige als Posten für die Geotrails. Die fachlichen Schwerpunkte bei der Auswahl sind:
- Sichtbarkeit geologischer Phänomene, die es ermöglichen, Geschichten zur Entstehung der Gesteine zu entwickeln.
- Historische, architektonische und kulturelle Bedeutung des Bauwerks und / oder des Gesteins. Dies hat auch Einfluss auf die Dauerhaftigkeit der Posten (moderne Fassaden sind oft wenig dauerhaft und werden häufiger umgestaltet).
- Möglichst kompletter Querschnitt durch wichtige geologische Prozesse.
- Didaktischer Aufbau von einem Posten zum nächsten.
Verkehrstechnische und logistische Auswahlkriterien:
- Maximale Reduktion der Gefährdung durch den Strassenverkehr an den Posten und auf dem Weg dorthin.
- Keine stark befahrenen Strassen oder wenn, dann genügend Abstand zum rollenden Verkehr, sichere Überquerung gewährleistet.
- Keine von Fussgänger/innen und Touristen/innen stark frequentierten Orte / Plätze /
- Möglichst geringe Störung von Geschäften (Eingänge zu Läden, Restaurantbetriebe im Freien).
- Kein Einbezug von Innenräumen (Kirchen, öffentliche Gebäude).
- Keine Störung der Privatsphäre (private Innenhöfe, Eingänge zu Privathäusern).